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ISSN 1439-9326

Heft 2-2003

Politische Sozialisation

Matthias Proske
Kann man in der Schule aus der Geschichte lernen? Eine qualitative Analyse der Leistungsfähigkeit der Form Unterricht für die Vermittlung des Nationalsozialismus und Holocaust

Ausgangspunkt des Beitrages ist ein Forschungsdesiderat: Während auf der programmatischen Ebene eine Reihe von elaborierten geschichtsdidaktischen Konzepten zur Erinnerungspädagogik vorliegen, fehlen bis heute empirische Studien über den Umgang mit dem Thema „Nationalsozialismus und Holocaust“ in der Schule. Vor dem Hintergrund einer Heuristik, die Unterricht als eine spezifische Formbildung pädagogischer Kommunikation begreift, wird in dem Beitrag eine Fallinterpretation einer Unterrichtssequenz entwickelt. Diese rückt die komplexen Vermittlungs- und Aneignungsverhältnisse am Beispiel des Umgangs mit einer Zeitzeugenerzählung eines Holocaustüberlebenden in den Fokus. Sichtbar wird zum einen die kaum steuerbare Ereignishaftigkeit unterrichtlicher Interaktion, vor allem bedingt durch die eigenlogischen Aneignungsprozesse der Schülerinnen und Schüler. Deutlich wird aber auch, dass die wissens- und vermittlungsbezogene Begrenzung von Aneignung ein zentrales Merkmal der sozialen Konstitution von Unterricht ist und in dieser Weise auch den pädagogischen Umgang mit dem Thema Nationalsozialismus im Schulunterricht prägt.

Dieter Geulen
Warum ist der reale Sozialismus gescheitert? Deutungsmuster im Bewusstsein der staatsnahen Intelligenz der DDR

Auf der Grundlage von 1991 durchgeführten Gruppendiskussionen mit Angehörigen der staatsnahen Intelligenz der DDR analysiert und rekonstruiert der Beitrag im Sinne eines konstruktivistischen Ansatzes von politischer Sozialisation die Deutungen bzw. Umdeutungen vom politischen System der DDR nach dem traumatisch erlebten Untergang dieses Staates. Hervorstechendes Ergebnis ist, dass auch bei Intelligenzlern, die der politischen Wirklichkeit der DDR mit einer gewissen kritischen Distanz gegenüberstanden, ein synkretistischer Begriffskomplex, der u.a. Sozialismus als Ideologie und das reale politische System der DDR vermengt, sowie ihre eigene Rolle nicht kritisch hinterfragt werden, sondern die Ursachen für den Untergang der DDR im wesentlichen im zu hohen Alter der Führungspersönlichkeiten gesehen werden.

Micha Brumlik
Adoleszenz, Freundschaft und Widerstand

Die Fähigkeit zum Widerstand gegen repressive, totalitäre Herrschaft und gegen die Verletzung der Würde von Menschen aus postkonventionellen Motiven heraus ist auf entsprechende Lebensformen sowie eine dementsprechende einfühlsame Erziehung im Elternhaus angewiesen. Freilich erweisen sich erst gehaltvolle, entfaltete Freundschaften sowie die Erfahrung intimer und reziproker erotischer Liebesbeziehungen als jene wesentlichen Bedingungen, die zum Widerstand disponieren. Am Beispiel des kurzen Lebens von führenden Mitgliedern der gegen den Nationalsozialismus gerichteten studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ wird gezeigt, dass die in den Theorien des genetischen Strukturalismus angelegte Logik soziomoralischer Beziehungen dieses Widerstandsverhalten erklären kann. Daraus lassen sich erste Folgerungen für eine politische Bildung ziehen, die die Individuen und ihren Glücksanspruch ernst nimmt.

Allgemeiner Teil

Bertram Ritter
Piet Mondrian, ‘Komposition im Quadrat‘ (1922) – Eine kunstsoziologische Werkanalyse

Bei einer sequenzanalytisch verfahrenden Werkanalyse des Gemäldes ‚Komposition im Quadrat’ (1922) von Piet Mondrian werden zunächst die pragmatischen Rahmen- und Erfüllungsbedingungen der Textgattung bestimmt. Der vorgeschlagene Begriff des Bildes als Identität von Identität und Nichtidentität von Bild und Gegenstand erweist sich im Verlauf der Analyse des konkreten Werkes als aufschlussreich und ebnet einer inhaltlich konkreten Bestimmung der Verschränkung von Form und Inhalt in Werken der bildenden Kunst den Weg. Auf der Basis stellvertretender ästhetischer Angemessenheits- bzw. Gestalturteile wird die ganze Komposition einer systematischen Rekonstruktion hinsichtlich dessen unterzogen, was ihre Formen als Konstellation objektiv ausdrücken bzw. „bedeuten“. Die Bedeutung „reiner“ geometrischer Figuren wird diskutiert. Es wird gezeigt, dass das „subjektiv“-rezeptive künstlerische Handeln der Analyse vorausgeht und, sich darin objektivierend, in Urteilen der Gelungenheit und durchgängigen Bestimmtheit des Gemäldes in sie einfließt. Als Präsupposition der Geltung des Werk- bzw. Bildbegriffes ist solches Urteilen einerseits Bedingung der Möglichkeit der Werkanalyse und kann gleichwohl andererseits erst durch sie, die immer das konkrete Bild vor Augen haben muss, rekonstruktiv begründet werden.

Methodenwerkstatt

Carmen Baumeler
Dissens in der kommunikativen Validierung. Eine Absage an die Güte wissenschaftlicher Forschung?

Die kommunikative Validierung der Ergebnisse durch die Untersuchten wird oft als Gütekriterium qualitativer Forschung angeführt: Finden sie sich in den Ergebnissen wieder, kann das ein wichtiges Argument zur Absicherung der Forschungsergebnisse sein. An diesem Gütekriterium wird aber auch Kritik geübt. So muss ein Dissens nicht zwingend die Qualität der Forschung negieren, da die Handlungen der Erforschten nicht mit ihren Selbst-Repräsentationen übereinstimmen müssen. Weiter kann eine allzu enthusiastische Zustimmung eine mangelnde Distanz des soziologischen Blicks und – innerhalb der Ethnographie – die Gefahr des ‚Going native’ aufzeigen. Der vorliegende Artikel diskutiert die Fallstudie eines Dissenses innerhalb einer kommunikativen Validierung, argumentiert aufgrund grundlegender theoretischer Aussagen qualitativer Methodologie, wie ein Dissens zu erklären ist und verweist schließlich auf einen Lösungsvorschlag (Stichwort ‚Triangulation’), der darstellt, welchen Platz Äußerungen der Beforschten – auch während einer kommunikativen Validierung – im Forschungsdesign einnehmen sollen.