Institutionalisierung der Erfahrungswissenschaften in unterschiedlichen Herrschaftskontexten. Zur Erschließung historischer Konstellationen anhand bildlicher Darstellungen
Der Artikel beschäftigt sich mit dem Verhältnis von universalhistorischer Rationalisierungsdynamik und historischem Kontext bei der Institutionalisierung der Erfahrungswissenschaften in England und Frankreich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang werden zwei in dieser Hinsicht besonders aufschlussreiche Bilddokumente analysiert: das von Wenzel Hollar nach einer Bildidee von John Evelyn angefertigte Titelkupfer zu Thomas Sprats History of the Royal Society (London 1667) und ein Stich Sébastien Leclercs, der zum ersten mal als Frontispitz für den ersten Band von Claude Perraults Mémoires pour servir à l'histoire naturelle des animaux (Paris 1671) verwendet wurde.
Der Rechtsfall als Fall des Rechts. Die verkehrte Welt der Gerechtigkeit in Kleists Michael Kohlhaas
Wenn man das Problem der Referenz ausklammert, so lässt sich erkennen, dass sich dem Literaten wie auch dem Soziologen ein vergleichbares Problem stellt. Beiden geht es um das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Die Einheit einer Geschichte (Erzählrahmen) kann analog zur Struktur einer Gesellschaft aufgefasst werden, ebenso korrespondiert die Handlungsabfolge (Plot) einer Erzählung mit den Ereignissen in der sozialen Wirklichkeit. Der Aufsatz unterbreitet den Vorschlag, in der Fiktionsliteratur eine modellhafte Ausarbeitung der Relation von Gesellschaftsstruktur und Handlungsereignissen zu sehen, aus deren Analyse sich soziologische Hypothesen über historische Tatsächlichkeiten gewinnen lassen. Am Beispiel von Kleists Novelle Michael Kohlhaas wird gezeigt, wie sich der Erzählrahmen als Konflikt zweier gleichzeitig gegebener Differenzierungsformen der Gesellschaft, ständische und segmentäre Ordnung, interpretieren lässt, und wie korrelativ dazu aus der Handlungsabfolge ein mehrwertiges und schließlich paradoxes Symbol für Gerechtigkeit entsteht.
Ambivalente Wir-Bezüge in ost-west-europäischen Migrationsbiografien. Konstruktionen kollektiver Zugehörigkeit in gesellschaftlichen Polarisierungsprozessen.
In der Relation zwischen ‚Ost‘- und ‚West‘-Europa sind gesellschaftshistorische Polarisierungsprozesse bestimmend, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Bewegung gerieten (und für ost-west-europäische Migranten eine neue biografische Herausforderung darstellten). Anhand von Fallanalysen aus dem ost-west-europäischen Migrationsfeld – insbesondere Rumänien – wird der Frage nachgegangen, welche Muster von Zugehörigkeitskonstruktionen sich in Bezug auf verschiedene Wir-Entitäten im Laufe der Lebensgeschichten entwickelten und wie sich identifikative Ortsbezüge (Waldenfels) vor dem Hintergrund öffentlicher Diskurskontexte veränderten. Dabei wird deutlich, dass in spezifischen gesellschaftshistorischen Kontexten verschiedene Wir-Zugehörigkeiten Ambivalenzen und Paradoxien bei der Selbstverortung in kollektiven Entitäten erzeugen.
Autonomie und Risiko statt Unsicherheit – Die selbständige Erwerbstätigkeit als Weg zur Bearbeitung biografischer Unsicherheiten in der Migration
Der Beitrag geht der Frage nach, wie sich das Verhältnis von Migration und biografischer Unsicherheit gestaltet und welche Bedeutung dabei der selbständigen Erwerbstätigkeit von Migranten zukommt. Anhand von drei Beispielen wird dargestellt, mit welchen unterschiedlichen Formen von biografischer Unsicherheit die Befragten konfrontiert sind und inwiefern diese Erfahrungen den Wunsch nach Autonomie und damit die Selbständigkeitsprojekte beeinflusst haben. Dabei zeigt sich, dass die biografischen Unsicherheiten in den dargestellten Biografien nicht, wie es im Anschluss an die Individualisierungsthese formuliert wurde, Unsicherheiten zweiter Ordnung im Sinne von komplexen Entscheidungsmöglichkeiten oder einer Reflexivmachung sicherer Lebenserwartungen darstellen. Die biografischen Unsicherheiten resultieren vielmehr aus erfahrenen Ungleichheiten, Ausschlusserfahrungen und biografischen Krisen, die zu einem Mangel an sozialer Sicherheit und einer Einschränkung der Möglichkeiten führen und die damit als Unsicherheiten erster Ordnung zu bezeichnen sind.
Narrative Based Medicine. Wiedereinführung des Subjekts in die Medizin?
Narrative Based Medicine ist ein Lösungsversuch der offenkundigen Restprobleme der Evidence Based Medicine. In der verkürzten Umsetzung der Evidence Based Medicine als „Leitlinien“-Medizin drohen die subjektiven Anteile von Arzt und Patient in Diagnose und Therapie keine gebührende Würdigung mehr zu erfahren. In diesem Sinne kann Narrative Based Medicine als Anspruch auf eine „sprechende Medizin“ gedeutet werden, die traditionelle Elemente ärztlicher Professionalität einfordert: empathische Wahrnehmung der Leidensgeschichte des Kranken, verbale Interaktion zwischen Patient und Arzt bereits als Teil des therapeutischen Prozesses. Weiterhin kann Narrative Based Medicine auch verstanden werden als Versuch, die „interne Evidenz“ der realen Behandlungsbeziehung so zu systematisieren, dass die „externe Evidenz“ der Evidence Based Medicine erst für den Einzelfall, das „Subjekt“ jenseits der Statistik, anwendbar wird. Narrative Based Medicine wird als Versuch der Wiedereinführung des Subjekts in die Medizin gewürdigt und insbesondere als qualitativer Forschungsansatz auch im historischen Kontext diskutiert.
Zur Bürgervergessenheit der deutschen Reformdebatte. Eine zeitdiagnostische Betrachtung
In dieser zeitdiagnostischen Betrachtung wird versucht, einem Umbruch auf die Spur zu kommen. Die deutsche Reformdiskussion erlaubt Einsichten in die Verfaßtheit des politischen Gemeinwesens, der anhand der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte nachgespürt wird. Besonderes Augenmerk widmet der Beitrag dominierenden Begrifflichkeiten und damit verbundenen Deutungsmustern. Auffällig ist die Bürgervergessenheit der Auseinandersetzungen und Lösungsvorschläge. Wenn auch das Wort „Bürger“ noch Verwendung findet, ist die rhetorische „Abschaffung“ des Bürgers, seiner konstitutiven Stellung im Gemeinwesen, nicht zu übersehen. Wie ist diese Bürgervergessenheit zu erklären? Wäre sie als Phänomen für das Ende des Nationalstaates zu deuten, wie seit Jahren eine verbreite Deutung es vor Augen hat oder eher als eine Transformation des Nationalstaats hin zu einer weiteren Ausgestaltung?
Die Wiederverzauberung des Finanzmarkts: Gemeinschaft, Mythos und Moral
Technologie hat dazu beigetragen, was Max Weber die Entzauberung der Welt nannte. Angestellte riskieren, des Erlebnisses von Sinn in der Arbeit beraubt zu werden. Wir erfahren jetzt, wie Magie, Moral und Erzählungen in Unternehmungen hineinziehen. Wiederverzauberung ist ein weit verbreiteter, aber vernachlässigter Aspekt der Handlungen, die das Ende der industriellen Gesellschaft kennzeichnen und sich in den Finanzmärkten verbreiten. Im Zentrum stehen hier Mentalität und Kultur der Finanzmärkte. Dieser Artikel hat auch ein makro-soziologisches Element in Verbindung mit der Rationalisierung der Gesellschaft. Drei Hauptaspekte der Wiederverzauberung werden studiert; Gemeinschaft, Mythos und Moral.