Michaela Pfadenhauer,
Andreas Langer
Professionalität
unter Reformbedingungen. Einleitung zum Themenschwerpunkt
Wie alles Handeln vollzieht sich auch professionelles Handeln nicht im ‚luftleeren Raum‘, sondern unterliegt bestimmten Rahmenbedingungen. Wenn diese Bedingungen verändert werden, dann wird dies von den Initiatoren in modernen Gesellschaften typischerweise als längst und dringend erforderliche Reformmaßnahme etikettiert und legitimiert. Professionen inszenieren sich dem gegenüber häufig als ‚Opfer‘ von Reformen im öffentlichen Sektor – besonders vernehmlich im Gesundheitssektor, der in drei Beiträgen eines Themenschwerpunkts im Mittelpunkt steht, dessen Thematik mit dem vorliegenden Beitrag umrissen wird.
Schlagworte: Professionalität, Reform, Gesundheitssektor
Werner Vogd
Verändern sich die
Handlungsorientierungen von Krankenhausärzten unter den neuen organisatorischen
und ökonomischen Rahmenbedingungen? Ergebnisse einer rekonstruktiven Längsschnittstudie
Die bundesdeutschen Krankenhäuser erfahren zur Zeit einen tief greifenden Wandlungsprozess. Auf Basis von vier Feldforschungsaufenthalten wir mittels der dokumentarischen Methode aufgezeigt, in welcher Form die neuen Rahmenbedingungen (DRGs, Personalkürzungen, etc.) die ärztlichen Handlungs- und Entscheidungsprozesse von Chirurgen und Internisten beeinflussen. Es zeigt sich, dass die handlungsleitenden Orientierungen der Ärzte im Wesentlichen unverändert bleiben. Auf Grund der knapper werdenden Ressource ›ärztliche Arbeitskraft‹ werden jedoch insbesondere in den ›weichen‹, sozialen Bereichen der Medizin Einschränkungen vorgenommen. Zudem werden Routinefällen zugunsten der komplizierten Fällen weniger betreut. Die markanten Veränderungen in der Organisation der ärztlichen Arbeit weisen zum einen darauf hin, dass Krankenhausärzte mehr als Experte und weniger als professioneller Akteur handeln. Zum anderen spricht einiges dafür, dass vermehrt Behandlungs- und Bezahlungsoptionen situativ innerhalb von Netzwerken miteinander und gegeneinander aushandelt werden.
Schlagworte: Krankenhaus, qualitative Studie, teilnehmende Beobachtung, Arzt, DRG
Bernhard Borgetto
Ökonomisierung,
Verwissenschaftlichung und Emanzipation.
Die Reformen im deutschen Gesundheitswesen und das Rollengefüge von Arzt und
Patient
Die Reformen im deutschen Gesundheitswesen haben erhebliche
Auswirkungen auf das Interaktionssystem von Arzt und Patient und auf die ärztliche
Autonomie. Der Wandel des Rollengefüges von Arzt und Patient wird auf dem
Hintergrund von Parsons paternalistischer Konzeption der Rollen von Arzt und
Patient dargestellt. Dabei werden zwei Thesen entfaltet: Zum einen verfestigt
sich durch die Ökonomisierung und Verwissenschaftlichung ärztlichen Handelns
ein Rollenkonflikt, der eine andauernde Vertrauenskrise zwischen Arzt und
Patient mit noch nicht absehbaren Folgen verursacht. Zum anderen wird von einem
Arzt zukünftig mehr und mehr erwartet, dass er sich anstelle eines durchgängig
paternalistischen Interaktionsstils einen flexiblen Interaktionsstil in dem
Spektrum von Paternalismus, Partnerschaft und Kundenorientierung aneignet, der
situations- und bedürfnisadäquat eingesetzt werden kann.
Schlagworte: Rollentheorie, Arzt-Patient-Beziehung, Gesundheitssystem, Profession, Vertrauen
Arne Manzeschke
„Wenn das Lächeln
verloren geht“.
Beobachtungen zu Profession und Ethos in den Gesundheitsberufen
Die Einführung der DRG (diagnoseorientierten
Fallpauschalen) in deutschen Krankenhäusern stellt einen wichtigen Schritt bei
der weiteren Ökonomisierung und Industrialisierung der stationären
Gesundheitsversorgung dar. Für das Wahrnehmen und Handeln sowie das Ethos der Professionellen in Medizin und Pflege deuten
sich gravierende Veränderungen an, die mit Einbußen in der Versorgungsqualität
verbunden sind. Dies betrifft insbesondere die soziale Dimension des
medizinischen und pflegerischen Handelns, seine moralische Verlässlichkeit und
symbolische Interaktionsfähigkeit. Angesichts dieser Entwicklung erscheint es
angemessen von Deprofessionalisierung und Demoralisierung zu sprechen.
Katharina Manderscheid
Sozialräumliche
Grenzgebiete: unsichtbare Zäune und gegenkulturelle Räume
In der soziologischen Ungleichheits- und Exklusionsforschung wird überwiegend ‚unräumlich‘ argumentiert oder mit simplifizierenden Containerraumkonzeptionen gearbeitet. Dadurch bleiben die komplexen Verbindungen zwischen sozialer Ungleichheit und Raum analytisch unterbelichtet, obwohl die Frage nach dem Raum in der Soziologie seit den 1990er Jahren wachsende Beachtung gefunden hat. Verbindet man demgegenüber die soziologischen Diskussionen zu Ungleichheit und zu Raum miteinander, so können Mechanismen der Produktion und Aufrechterhaltung von sozialer Ungleichheit und Exklusion durch ihre Wechselwirkungen mit den sozial konstruierten räumlichen Ordnungen herausgearbeitet werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass Raum immer eine sozial strukturierte und strukturierende Dimension enthält, die über seine Materialität hinausreicht. Dieser sozial produzierte Raum geht einher mit verschiedenen Formen von Ungleichheit und Exklusion. Anhand eines stadtsoziologischen Fallbeispiels wird die Fruchtbarkeit dieser theoretischen Überlegungen für die Forschung diskutiert.
Schlagworte: Soziale Ungleichheit, Exklusion, Raum, Habitus, gegenkulturelle Raumkonstitution
Jens O. Zinn
Biographische (Un-)
Sicherheit in der Moderne.
Zum Wandel von Selbstbindung und Widerständigkeit in Alltagstheorien und biographischer Forschung
Wir sind es gewohnt, biographische Unsicherheit als Ausdruck von sozialer Benachteiligung (in Verbindung mit sozialen Strukturindikatoren wie Klasse, Geschlecht, Ethnie) und/oder biographischen Schicksalsschlägen (Unfall, Krankheit, Scheidung, Arbeitsplatzverlust) zu sehen. Die daran anschließenden Forschungsfragen richten sich auf die verschiedenen Arten, wie Unsicherheiten bewältigt und in Sicherheiten transformiert werden können. Dabei kann biographische Unsicherheit konzeptionell unterschiedlich erschlossen werden. Wie dies geschieht, ist hoch voraussetzungsvoll und hat Folgen für die daran anschließende Forschung. Im Folgenden wird argumentiert, dass unser Denken über Biographie und biographische (Un-)Sicherheit in spezifische historische (Herrschafts-) Konstellationen eingebettet ist. So können unter Rückgriff auf die Foucaultsche Begrifflichkeit die Normen biographischer Selbstdarstellung und Selbstfestlegung auch als ‚Wahrheitsprogramm‘ und damit als eine Herrschaftslogik angesehen werden. Daran anschließend wird dafür plädiert unter Bedingungen gesellschaftlichen Wandels ‚Biographie‘ als eine bestimmte Art der Bearbeitung von Unsicherheit bei der Lebensgestaltung aufzufassen und verstärkt nach Formen der Widerständigkeit gegen dominante Normen der Vereindeutigung biographischer Erwartungsbildung und Selbstfestlegung zu suchen.
Schlagworte: Biographie, Biographieforschung, Unsicherheit, Widerstand, Moderne, Alltagstheorien, Foucault, Identität, Subjekt
Eike Emrich
„Ars Corrumpendi“.
Zur Interaktions- und Beziehungsdynamik bei Bestechungen
Der Beitrag widmet sich der Bestechung als sozialer Beziehung und als Interaktionsprozess. Über mehrere vertrauensstabilisierende und riskante Interaktionsschritte entwickelt sich auf der Basis der menschlichen (und ökonomischen) Urprinzipien des Vertrauens und der Reziprozität eine soziale Beziehung, in deren Kern ein illegitimer und häufig auch illegaler Tausch stattfindet. Im Rahmen dieses Tausches werden kulturelle Tauschnormen verletzt und normativ Nicht-Tauschbares – zumeist gegen Geld – veräußert. In der Interaktion zwischen Bestochenem und Bestechenden sind dabei einige charakteristische Verläufe erkennbar, die geprägt sind von der zentralen Bedeutung reziproker Gefühls- und Tauschnormen und den sich jeweils entwickelnden wechselnden Asymmetrien, die die institutionell nicht verfestigte und somit auf die Hinterbühne verlegte Tauschbeziehung prägen.
Thomas
Loer
Streit statt Haft
und Zwang – objektive Hermeneutik in der Diskussion. Methodologische und
konstitutionstheoretische Klärungen, methodische Folgerungen und eine
Marginalie zum Thomas-Theorem
In der Diskussion um die hermeneutische Sozialforschung wie sie kürzlich in dieser Zeitschrift von Bruno Hildenbrand und Jörg Strübing geführt wurde, wird sowohl auf seiten derjenigen die die Differenz von objektiver Hermeneutik und den meisten anderen Methoden sogenannter qualitativer Sozialforschung betonen – wie etwa Strübing, der Grounded Theory und objektive Hermeneutik voneinander abgrenzt – als auch von denjenigen, die die Vereinbarkeit und Ergänzungsbedürftigkeit dieser beiden Seiten hervorheben – wie es etwa Hildenbrand ebenfalls bezüglich der beiden genannten Methoden tut – die objektive Hermeneutik als eine Methode begriffen, die nicht in der Lage ist, Subjektivität angemessen zu konzeptualisieren. Dies hängt damit zusammen, dass der Strukturbegriff der objektiven Hermeneutik fälschlich als statisch begriffen und Struktur als dem handelnden Subjekt gegenüberstehend missverstanden wird. Dies wiederum hängt damit zusammen, dass in der qualitativen Sozialforschung generell der Regelbegriff keine Rolle spielt, geschweige denn, dass Regeln als konstitutiv für den Gegenstand der Soziologie begriffen würden. Ausgehend von den Diskussionsbeiträgen Hildenbrands und Strübings werden hier – unter Heranziehung analog argumentierender weiterer Autoren wie unter Explikation präzisierungsbedürftiger Begriffe der Konstitutionstheorie und der Methodologie der objektiven Hermeneutik – Klärungen vorgenommen, sowie Zuspitzungen, die zu weiterer Diskussion und damit zu weiterer Klärung unter Vermeidung der auf seiten der Gegner wie auf seiten der versöhnlerischen Verteidiger der objektiven Hermeneutik verbreiteten Missverständnisse führen sollen.