Die Inseminationsfamilie. Ein soziales Phänomen zur Prüfung des Kriteriums der Universalität kernfamilialer Strukturen?
Gegenstand des Beitrages ist die gleichgeschlechtliche weibliche Paarfamilie, in der ein Frauenpaar sich den Kinderwunsch über eine Form der künstlichen Befruchtung erfüllt hat. Diese neue Familienform, in der für den Prozess der Sozialisation für notwendig erachtete Konstitutionsbedingungen nicht anerkannt werden, lässt Zweifel am Theorem von der ödipalen Triade als einer universalen Strukturgesetzmäßigkeit aufkommen. Ein grundlegender einen theoretischer Baustein der soziologischen Sozialisationsforschung wird so empirisch überprüft. Des weiteren wird ausgehend von den empirischen Befunden einer Fallrekonstruktion der Anschluss an die Debatte um die Zulässigkeit der künstlichen Befruchtung hergestellt.
Schlagworte: Sozialiationsforschung, ödipale Triade, gleichgeschlechtliche weibliche Paarfamilie, künstliche Befruchtung, Ethik, Fallrekonstruktion
Die Zuschreibung von Verantwortung als soziale Praxis. Erste Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt
In einer rechtssoziologischen Untersuchung, die im Gegensatz zur Fülle an quantitativen, sozialpsychologischen Arbeiten eine qualitative sozialwissenschaftliche Herangehensweise zur Analyse von Verantwortungszuschreibungen gewählt hat, wird, in Abgrenzung zu Attributionstheorien und den ihnen oftmals zugrunde gelegten Laborexperimenten der Frage nachgegangen, wie das Zuschreiben von Verantwortung als soziale Praxis begriffen und analysiert werden kann. Erste Ergebnisse der Studie zeigen, dass zuschreibende Urteile über ein beobachtetes Verhalten Teil der sozialen Praxis sind. In ihr werden die in einer bestimmten sozialen Welt geltenden Normen, Werte, Denk- und Handlungsmuster angewandt, umgedeutet und verändert. In den Attributionen drücken sich somit nicht nur Motive, Ziele und Wünsche der argumentierenden Person aus, sondern diese erfüllen eine soziale Funktion. Sie sind Teil der in der sozialen Praxis vollzogenen Strukturierung der Welt.
Schlagworte: Rechtssoziologie, Attributionstheorie, Verantwortungszuschreibung, soziale Praxis, Grounded Theory
Der Identitätsprozess
Zunächst ausgehend von philosophiegeschichtlichen Perspektiven diskutiert der Aufsatz verschiedene Bedeutungsfacetten und Konzeptualisierungen des Begriffs "Identität" in den Sozial- und Kulturwissenschaften sowie damit verbundene Schwierigkeiten und Widersprüche. Aufgezeigt wird, dass erst der historische Rückblick verdeutlicht, wie der Identitätsbegriff und das "Auftauchen eines Subjekts" als Momente historischer Entwicklung selbst zu verstehen sind. Nachfolgend wird der Identitätsprozess als "tätige Subjektivität" (Identitätsarbeit) gefasst und die Bedeutung von Empfindungen, Gefühlen sowie mentaler Bilder hervorgehoben. Abschließend wird die aufschließende Kraft des wissenschaftlichen Konzepts "Identität" für soziale Fragen betont.
Schlagworte: Identität, Identitätsprozess, Subjektwerdung
Das Flugzeug als Kommunikationsraum. Handlungsformen, Vergemeinschaftungstypen und Berufsprofile an Bord
Löst man das Fliegen aus der Trivialwahrnehmung des Alltagsmenschen, so erscheint es als eine komplexe Situation beschleunigter Raumüberwindung, die sowohl für die Passagiere als auch für das fliegende Personal spezifische Handlungstypiken und Deutungsbereitschaften nach sich zieht. Aus einer handlungstheoretischen Perspektive in der Tradition Georg Simmels und Helmuth Plessners impliziert das Fliegen im Hinblick auf die Temposteigerung, auf die technische Ausstattung des Containers sowie die erzwungene Autonomieeinschränkung als ein transitorischer Verortungsverlust, als eine anomische Situation, die strukturell idiosynkrasieanfällig ist. Die "Not"-Vergemeinschaftung der Passagiere tritt im Binnenraum eines Flugzeugs in dynamische Wechselwirkung mit dem intern hierarchisch differenzierten Kompetenzprofil der Flugzeugbesatzung, die ihrerseits in der doppelten Verpflichtung zu sicherheitsbezogener Sanktionsdrohung und zu komfortbezogener Zuvorkommenheit den Passagieren gegenübertritt. Der Artikel beschäftigt sich mit Erscheinungsformen des Handelns unter der Bedingung passagerer totaler Institutionalisierung und arbeitet Anforderungen für das professionelle Profil der am Bord arbeitenden Berufsgruppen heraus. Die mikrosoziologische Perspektive erweist sich dabei als eine hilfreich, ein auf Kommunikationseleganz und situationsgenaue Wahrnehmung ausgerichteten Dienstleistungsprofils zu entwerfen.
Schlagworte: Körper, Raum, Verortungskrise, Dienstleistungsberufe, Service-Schulung, Professionalisierung
"Das ungläubige Leben" – Adoleszenz junger Muslime zwischen
expressiven Jugendkulturen und Re-Islamisierung
Muslime in Deutschland sind von Modernisierungs- und Pluralisierungsprozessen gekennzeichnet. Der Beitrag untersucht auf der Basis einer biographischen Studie die Prozessverläufe junger Muslime in der Bundesrepublik. In zwei kontrastiven Fallstudien wird der Zusammenhang von westlich expressiven Jugendkulturen und Islamisierungsprozessen in der Jugendphase zweier junger Muslime untersucht. Beide Fälle stehen für den Typus "Re-Islamisierung im Gefolge der Adoleszenz". Die Re-Islamisierungsprozesse der jungen Erwachsenen erscheinen dabei als Bestandteile eines jugendlichen Identitätsbildungsprozesses, in dem die wieder entdeckte Religiosität als Merkmal der Abgrenzung und Verselbständigung sowohl gegenüber dem Elternhaus wie auch gegenüber der Mehrheitsgesellschaft eingesetzt wird. Sichtbar werden in diesem Zusammenhang auch die biographischen Wandlungs- und Entwicklungsprozesse religiöser Subjekte.
Schlagworte: junge Muslime, Jugendphase, Biographie, Jugendkultur, Re-Islamisierung
Produktives Problemlösen. Berufsbedingte Muster sozialer
Klassifizierung bei Ingenieuren und Architekten
Die anhand der Resultate eines Sortierspiels mit Berufskarten durchgeführte Rekonstruktion der sozialen Klassifizierungspraktiken von Ingenieuren und Architekten zeigt, dass das Denken von Ingenieuren und Architekten von dreierlei typischen Antagonismen geprägt ist: (a) produktive versus nicht-produktive Berufe, (b) kreative versus routinisierte Berufe sowie (c) angewandt-konkrete versus theoretisch-abstrakte Berufe. Diese drei Gegenüberstellungen sind nun nicht in ein dichotomes Bild der Gesamtgesellschaft eingebettet, sondern gehen in einem funktionalistisch-organischen Modell auf. Im Gegensatz etwa zu einem Denken, das nicht-produktive Tätigkeiten als unnütz ablehnt, verstehen Ingenieure und Architekten diese Tätigkeiten – ganz in funktionalistischer Logik – als in einem reproduktiven Sinn nützlich. Der Beitrag zeigt auf, dass klassifizierungsrelevante Elemente vermutet werden können, die von Sozialstruktur und Biografie unabhängig sind und in der Struktur der beruflichen Praxis gründen.
Schlagworte: Soziale Klassifizierungen, Berufe, Ingenieure, Architekten, Gesellschaftsbild
Die Partikularisierung des Staates. Ein Problemaufriss
Dass sich Staaten durch einen öffentlich-allgemeinen Repräsentations- und Gestaltungsanspruch auszeichnen, nichtstaatliche Akteure dagegen lediglich einzelne Gruppierungen repräsentieren und daher als private und partikulare Organisationen gelten müssen, ist ein staattheoretischer Gemeinplatz, der für die Möglichkeit legitimer und rechtsförmiger Politik allerdings unhintergehbar ist. Indes deuten heute unterschiedliche Entwicklungen darauf hin, dass Staaten immer weniger Wert auf einen besonderen legitimatorischen und akteursqualitativen Status legen. Vielmehr versprechen sie sich aus der bewussten Annahme eines partikularen Akteursstatus machtpolitische Vorteile. Dabei untergraben Staaten auch das Fundament, das für eine allgemeine, öffentlich-rechtliche Ordnungsbildung auf globaler Ebene notwendig ist. Die Darlegung und Diskussion verschiedener empirischer Fallbeispiele der bewussten Partikularisierung des staatlichen Akteursstatus soll dieses Problem umreißen und als Plädoyer für weitergehende Forschungen dienen.
Schlagworte: Partikularisierung, Privatisierung, Staatstheorie, Staat, Politische Theorie, Gewaltenteilung, Agamben, Recht, Legitimität, Regierung, Verwaltung, Internationale Beziehungen
Die Rückkehr in die Wissenschaft aus einer veränderten Universität. Aus gegebenem Anlass vorgetragen am 18. Juli 2008
Aus der Perspektive eines in den "verdienten Ruhestand" entlassenenen Hochschullehrers wird der Wandel der Universitätslandschaft betrachtet. Die gewonnene Zeit, die Muße, die für Wissenschaft konstitutiv ist, wird vom Betrieb nicht unterstützt; sie muss zurückerlangt werden. Dabei wird u. a. herausgestellt, dass das Unbehagen, das die gegenwärtige Reform bei vielen Hochschullehrern hervorruft, mit einer kontrafaktischen Idealisierung der alten Universität und einer undeutlichen Wahrnehmung eines kollektiven sozialen Abstiegs der Professoren einhergeht. Bezüglich der Universität wird ein Austausch der "Leitidee" konstatiert: Die Wissenschaft, die institutionell gegen die Berufspraxis abgepuffert war und in diesem Sinne einen Eigenwert hatte, verliert diesen dadurch, dass die Berufsorientierung in das akademische Studium hereingenommen wird. Mit der neuen Leitidee verändert sich auch die Universität als Lebensraum hin zu einer besseren Kalkulierbarkeit des Studiums: Die modularisierten Informationen sind besser berechenbar als eine Seminardiskussion, in der es nur um Erkenntnis ging.
Schlagworte: Universität, Leitidee, Reform, sozialer Abstieg, Erkenntnis